Meine Reise mit Rohatsu
14.12.19 // Categories: Meditation
Zen-Meditation bildet die grundlegende Basis für mein Shiatsu, denn es bewirkt eine körperliche und geistige Offenheit in dem sich meine Klient*innen besser entfalten können. Anfang Dezember hat nun das sogenannte Rohatsu, ein Intensiv-Meditationsblock, der gewöhnlich vom 1. bis 8. Dezember dauert, stattgefunden. Man sagt, dass Buddha am 8. Dezember die Erleuchtung hatte. Es ist das strengste Sesshin im Buddhismus; es wird manchmal nur 2 Stunden pro Nacht geschlafen, oder es werden gar Nächte durchmeditiert.
Die verschiedenen Zendos (das sind einzelne Zen-Gruppen) machen das recht verschieden. "Mein" Zendo - das Misho-an - hat das Rohatsu von 16.00 bis 21.30 Uhr, quasi berufsbegleitend, angesetzt. Und diese Kombination fand ich ganz, ganz wunderbar.
Ich war 5 Tage hintereinander dabei.
Meine Tage waren also eingeteilt - in Arbeit davor und in Meditation.
Shiatsu habe ich in dieser Woche sehr reduziert und die Arbeitszeit genutzt, um die Steuer zu machen. Ich bin also in der Früh aufgestanden und habe mich erstmal vor allem mit Zahlen beschäftigt. Gedanken wie "oh Gott, werde ich damit jemals fertig?", ein "habe ich grad überhaupt Lust das zu tun - die Antwort ist NEIN!", sowie ein "mit was soll ich anfangen?" oder "zuerst noch brauche ich dringend einen Kaffee, und dann noch schnell ein Telefonat, da noch ein schnelles mail" waren nutzlos. Weil ich erstaunlicherweise einfach angefangen habe, und die Handgriffe GETAN habe. Einfach einen nach dem anderen. Die Gedanken waren zwar witzigerweise trotzdem da, aber sie hatten nichts damit zu tun was ich TAT, sie haben mich nicht beeinträchtigt - ich war erstaunt, wie unwichtig und, ja sinnlos, die Gedanken über mein Tun waren.
Für das Shiatsu in dieser Zeit waren meine Fühler besonders "gespitzt" - also nicht nur die Ohren, sondern die gesamte Wahrnehmung. Denn wenn man so viel Zeit mit anderen zusammen in Stille sitzt, dann ist sogar beim Sitzen "ganz schön viel los", weil sich die Wahrnehmung darauf einstellt.
Körperliche Grenzen verschwimmen, ja lösen sich auf, weil es nicht notwendig ist zu interagieren, sondern wir sind einfach Teil dieser Meditationsgruppe, zu der wir „nur“ DA sein müssen. Das ist alles. Im alltäglichen Leben selektieren wir. Das Gehirn blendet zum Beispiel den Verkehrslärm aus, denn die Herausforderung ist eine andere: Wir müssen mit anderen zusammen halt "funktionieren", re-agieren, und da selektiert die Wahrnehmung nach Wichtigkeiten. Alles jedoch, was ich beim Meditieren "tun" muss, ist, aufrecht zu sitzen. Gedanken an Zukunft oder Vergangenheit lösen sich auf, weil alles im JETZT vorhanden ist. Hm, das klingt so "erleuchtet". Ich vermute, das ist es aber noch nicht, höchstens der Anfang einer exponentiellen Annäherung…
Wie kann man sich das vorstellen?
Ich kann natürlich nur von meinem persönlichen Erleben berichten, davon, wie ich es empfinde, und werde es hier also mit Worten versuchen:
Durch die Zeit und die Routine, die ich im Zendo täglich meditierte, hebt sich die Zeit selbst also auf. Gleichzeitig flirren Vorstellungen und Gedanken durch den Raum. Wir alle atmen, Blut fließt und wir bewegen uns sozusagen ständig minimal. Stillstand gibt es nicht. Stillstand "existiert" nicht. Gleichzeitig gibt es aber auch keine Zeit. Und trotzdem "existiert" die Zeit. Wie ein Faden, der sich durch eine Zeitfläche zieht. Der Faden selbst wird unwichtiger, es ist mehr die Fläche, in die sich dieser Faden einbettet. Manchmal ärgert man sich latent, und dann kommen Dinge daher, über die man sich auch "tatsächlich" ärgern könnte. Manchmal tauchen Liebe und Dankbarkeit auf, und es kommen zu dieser Zeit auch andere Dinge oder Vorstellungen rein, die man mit Liebe verbindet, dann vielleicht die Verzweiflung, weil der Körper schmerzt - aber damit einher kommen andere Dinge, die man mit Verzweiflung verbindet, und es geht also wohl doch nicht um den Körper als solchen, denn die Schmerzen sind längst verschwunden, wie man plötzlich nebenbei feststellt. Und so weiter. All dies sind wohl Aspekte vom Dasein, die gelebt werden wollen, die gespiegelt werden wollen.
Wie Zutaten einer Suppe, die miteinander einen nahrhaften Brei ergeben. Die Zeit spiegelt Aspekte der Suppe, die in den Vordergrund treten wollen. Und die Suppe ist bei jedem Sesshin ein bissl anders, weil wir uns immer in einer anderen Lebenssituation befinden und andere Dinge hochkommen, die beobachtet werden wollen. Das Spannende: All dies kommt aus uns selbst - nicht aus dem Umfeld. Das Umfeld klärt sich zuerst, danach bleibt die eigene Vorstellung davon und dann das große Ganze, das dabei zu erahnen ist. Also Gesellschaft an sich, kollektiv Erlebtes. Vielleicht kollektive Einsamkeit, kollektives Sitzen vor dem Computer, kollektives Angst-vor-Abweisung-und-darauf-agiere-ich-irgendwie, kollektives Ich-muss-alles-erledigen“ ecetera. Somit kommt die Liebe zum Allgemeinen durch, also das Umarmen des großen Ganzen, der Menschheit und ja - das Mitgefühl. Erlebt als kleiner menschlicher Teil des Ganzen, in dem das Ganze aber enthalten ist. Und das im zeitlichen Ablauf auserlebt werden will.
Das klingt alles abstrakt vielleicht, wird aber für mich beim Meditieren ganz real.
Und dann geh ich vom Misho-an nach dem Meditieren nach Hause und habe gefühlt keine "Haut" - ist offen mit der Welt verbunden. Alles wird intensiv und direkt erlebt, die Wertung wird unwichtig. Dann können schon private Erlebnisse besonders intensiv sein, sich aufdrängen. Vielleicht weil ich weiter in sie hineinblicke oder die eigenen Themen/Reflexe/Dynamiken wieder sehe, die mit der eigenen Geschichte da sind und erlebt werden wollen. Daran kommen wir Menschen wohl nicht herum. (Ich nehme an, das nennen die Buddhist*innen "Karma"?) Und so geht es wohl jedem Menschen. Das ist das Verbindende. Andere Menschen, Situationen, in denen wir uns wiederfinden, dienen so gesehen als Übung um ein Stückchen als Ganzes weiterzukommen. Im Schmerz, in der Freude, in der Verzweiflung, im Annehmen, im Mitgefühl und letztendlich in der grundsätzlichen Verbundenheit.
Mir selbst hat diese enge Routine sehr gutgetan, was bestimmt auch daran liegt, dass ich mich grundsätzlich in der Arbeit mit Shiatsu selbst organisieren muss. Es gibt keine Chefin oder einen Chef, für die oder den ich aufstehen muss, sondern - das bin ich selbst. Die Routine, die Gesamtstruktur eines Sesshins bewirkt, dass ich mich ganz der Meditation widmen kann, ganz versenken kann. Mit anderen zusammen. Das fand ich unglaublich toll.
Ich bin unendlich dankbar für das Sesshin, und für diese spezielle Art des Sesshins, wo ich gleichzeitig auch der Umwelt ausgesetzt bin und sozusagen direkt die eigenen Themen gespiegelt bekomme. Und es sei gesagt: Da geht es nicht um Negatives oder Positives, sondern um ganz viel Unbestimmtes, Buntes, Lebendiges dazwischen.
Was für eine gute Art auf Weihnachten und den Jahreswechsel eingestimmt zu werden!
Ich bedanke mich hier bei Ihnen als neugierige Hierher-Leser*in und besonders bei meinen Wegbegleiter*innen und Shiatsu-Klient*innen, die mir so viel Offenheit und Vertrauen entgegenbringen.
Ich wünsche eine ganz besondere und wunderbare Zeit mit Gesundheit, Kraft und außergewöhnlich bereichernden, berührenden Begegnungen!
herzlich,
irene
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